|
Inter-Korporale
Symbiosen
Von Mira Anneli Naß
Sarah Lüdemann (Beauham) und Eyal Dinar nehmen ihre gemeinsame
Ausstellung intrrra- //
interkorporal in der plan.d produzentengalerie in Düsseldorf zum
Anlass, Fragen nach den
Grenzen des eigenen und des anderen Körpers, also jene nach einem
Verhältnis von Mensch
und Welt, von Natur und Kultur und damit auch die nach Konstruktion
und Verlust von
Subjektivität (neu) zu verhandeln. Bereits seit langem stehen beide
in einem engen Austausch
miteinander, sodass der Ausstellungstitel zunächst auf dieses produktive
Aufeinandertreffen
zweier Künstler*innen und ihrer Werkkörper anspielt. Zwar
haben sie die ausgestellten
Werke weniger gemeinsam geschaffen: Dinar präsentiert drei fotografische
Serien, in denen
er ein Verhältnis seines eigenen Körpers zu dessen Umraum
und damit nicht zuletzt auch die
Frage danach untersucht, wie sich kollektive und individuelle Erfahrungen
oder Erlebnisse als
Erinnerungen in menschliche Körper sowie pflanzliche Organismen,
aber auch in Bilder
einschreiben.
Lüdemann (Beauham)s installativ angeordnete, abstrakte Skulpturen
strotzen ebenso vor
Körperlichkeit. Eingeengt und zusammengezwängt stellen diese
Fragmente jedoch zugleich
die Frage danach, welche Diskurse sie formen, also wie Macht auf sie
einwirkt. Auf diese
Weise kommt es aber nicht nur zu einem intermedialen Nebeneinander beider
Werkkomplexe: In der Kommunikation der einzelnen Arbeiten untereinander
und in ihrer
räumlichen Überlagerung entstehen inter-korporale Symbiosen.
Das ist ganz wörtlich zu
verstehen, meint ein symbiotisches System doch die Verflechtung von
Organismen, die auch
die Vergesellschaftung von Individuen umfasst. Damit berührt die
Ausstellung ganz basale
Fragen einer Öffentlichkeit, in denen sich auch die radikale Zeitgenossenschaft
beider
Künstler*innen widerspiegelt musste im vergangenen Jahr
doch häufig noch einmal ganz
Grundlegendes verhandelt werden: Wo endet mein Körper? Wo beginnt
dein Körper? Wo
können sich unsere Körper treffen? Also: Wie nah dürfen
wir uns kommen, ohne einander zu
gefährden, zu bedrängen oder einzuengen? Wann wirkt Interkorporalität
ganz wörtlich als
physische Interaktion zwischen Körpern, aber auch als Erkenntnis
jenseits individualistischteleologischer
Positionen, wie sie Maurice Merleau-Ponty beschreibt produktiv,
wann
destruktiv? Lüdemann (Beauham) und Dinar referieren auf diese Weise
auch auf die Tradition
einer feministischen Kritik am Mythos des ,ganzen Körpers1.
Warum sollten unsere
Körper, fragte Donna Haraway bereits 1985 exemplarisch in
ihrem berühmten Cyborg-
Manifesto, an der Haut enden oder bestenfalls andere von Haut
umschlossene Wesen
enthalten?2 Was Haraway mit dieser Frage provoziert, ist die These
eines Körpers, der erst
über Diskurspraktiken erzeugt wird und so über seine Haut
hinaus existiert.
Die Fotografien Eyal Dinars knüpfen hier unmittelbar an: Die Serie
Cactus (2016) zeigt enge
Bildausschnitte, in denen scheinbar radikale Gegensätze aufeinandertreffen:
Wir sehen einen
Oberkörper von hinten, von vorne eng an einen grobblättrigen
und dickfleischigen grünen
Kaktus geschmiegt. Die Rezeption dieser Farbfotografien wird ganz wesentlich
beeinflusst
vom Wissen um Dinars Biografie, der im Norden Israels im Kibbuz Sasa
aufwuchs. Die
Kakteen beziehungsweise ihre Früchte sind in Israel
eine Art nationales Symbol, sie
werden als sabre oder tzabar bezeichnet, was
zugleich die seit 1930 in Israel geborenen
Jüdinnen und Juden meint. Assoziationen an eine wehrhafte Widerständigkeit
nach Außen,
die das Leben im Inneren schützt, lassen sich so kaum vermeiden.
Das bleibt aber nicht im
Kollektiven verhaftet, sondern überträgt sich auf Dinars individuelle
Identität, die zwar
wesentlich von seiner jüdisch-israelischen Sozialisation geprägt
ist, aber zugleich die
Erlebnisse eines jungen homosexuellen Mannes mit sich trägt. Kann
ein Körper von diesen
Erfahrungen erzählen? Fotografische Abstraktionspraktiken ermöglichen
dem Künstler,
darüber nachzudenken. Ganz wesentlich zeugt davon auch die Serie
Rinde (2020). In sechs
Nahaufnahmen präsentiert sie uns die mille feuille einer brüchigen
Baumrinde vor schwarzem
Hintergrund: Schicht um Schicht legt der fotografische Apparat sein
Untersuchungsobjekt
gesellschaftlichen Oberflächen gleich mit spurensuchendem,
archäologischem Gestus frei.
In der Archäologie wird zur Beschreibung von Körperoberflächen
und Gesichtszügen häufig
der Begriff Inkarnat verwendet. Als Terminus der Kunstgeschichte meint
dieser auch eine
Maltechnik, um den Anschein lebendiger Körper zu erzeugen und zugleich
die relativ
monochrome Farbigkeit eines standardisierten nordeuropäischen Hauttons
in der klassischen
Malerei. Dieser Farbton dominiert einen Großteil der Arbeiten
Sarah Lüdemann (Beauham)s:
Die Künstlerin färbt weiche Materialen wie alten Matratzen
und Kissen, Plastikfolien und
rollen, die sie allesamt auf der Straße findet, in diesem mal
mehr, mal weniger starkem
Rosaton. Eng mit Klebeband oder Spanngurten zusammengeschnürt erzählen
diese
gequetschten Körper (Stranded, Slabbed) von den soziopolitischen
Kräften, die sie formen
und lassen nicht zuletzt an ein Gefühl des Eingesperrt-Seins denken,
das etwa häusliche
Quarantäne erzeugen kann. In Gesellschaftsspiele (2021) stehen
solche fragmentarischen
Körperskulpturen auf einer Art Spielfeld: Verschiedenfarbiges Tape
zeichnet am Boden des
Ausstellungsraums Grundrisse von Brettspielen, Sportfeldern oder anderen
Bodenplänen
nach. Diese Raster und Strukturen verweisen auf spezifische Regeln oder
Ordnungen, denen
sich die verloren wirkenden Körper unterzuordnen haben doch
ihre mehrfache
Überlagerung erlaubt es nicht, sie zu entziffern. Was nun?
In der ortsspezifischen Installation faux terrain (2021) trifft Dinars
Fotografie ganz explizit
auf Lüdemanns Körperformen: Der großformatige Print
einer Baumrinde wölbt sich zwischen
Wand und Boden. Wie in einem Panorama, in dem das faux terrain den Übergang
zwischen
Gemälde und Plattform und damit den zwischen dreidimensionalem
Objekt und
zweidimensionaler Illusion mit vereinzelten Gegenständen kaschieren
soll, verteilen sich 90
kleine Skulpturen aus ungebranntem Ton oder unbearbeitetem Stein über
Bild und Boden. Die
formenden Hände der Künstlerin haben sich in sie eingeschrieben.
Und eben darum geht es
dieser Ausstellung: In einer Zeit, in der der eigene und der fremde
Körper mehr denn je zu
Orten der Paranoia werden, fragen Eyal Dinar und Sarah Lüdemann
(Beauham) nach dem
Abdruck, den er in der Welt hinterlässt und die Welt in
ihm.
Eyal Dinar und Sarah Lüdemann (Beauham): intrrra- // interrrkorporal
10 April - 2. Mai 2021, produzentengalerei plan d. Gefördert durch
die Kunst und
Kulturstiftung der Sparkasse Düsseldorf.
1 Sigrid Schade: Der Mythos des .ganzen Körpers. Das Fragmentarische
in der Kunst des 20. Jahrhunderts
als Dekonstruktion bürgerlicher Totalitätskonzepte, in: Ilsebill
Barta u.a. (Hg.): FrauenBilderMännerMythen,
Berlin 1987, S. 239260
2 Donna Haraway: Ein Manifest für Cyborgs, in: dies.: Die Neuerfindung
der Natur: Primaten, Cyborgs
und Frauen, Frankfurt/New York 1995, S. 33-72, hier S. 68
|